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Kennen Sie… das zweite Eisenhaus?
Auch wenn immer wieder der Name Gustave Eiffel die Runde macht, wenn von den beiden Trierer Fassaden mit Eisendekor die Rede ist, hat dieser weder in Trier noch in ganz Deutschland ein Werk hinterlassen. Die Eisenfassade in der Neustraße 56 stammt von dem Trierer Architekten Carl Dalmar. Es wäre zu schön für die Stadt, ein Gebäude des bekannten französischen Ingenieurs Alexandre Gustave Eiffel (1832-1923) sein Eigen nennen zu können, stammen doch seine Vorfahren aus der nahegelegenen Eifel, wie der Name richtig andeutet. 1888 verkürzte er seinen Nachnamen Bönickhausen dit Eiffel, woraufhin er mit der Tour d’Eiffel der Pariser Weltausstellung direkt zur Marke wird.
Der Werkstoff Eisen als Konstruktionsmaterial für technische und funktionale Bauwerke hat zu diesem Zeitpunkt bereits Tradition. Seit 1779 ist der Fluss Severn in Shropshire, England von einer Eisenbrücke überspannt, die zur Zeit der Frühindustrialisierung so aufsehenerregend war, dass das sie überspannende Tal seitdem nach dieser Brücke heißt: Ironbridge Gorge. Neben Brücken, Tunneln und Viadukten für Eisenbahnlinien und Straßen werden beispielsweise auch Fabriken, Ausstellungsgebäude, Bahnhöfe oder Markthallen mit dem neuen Material errichtet. Aus den eisernen Bauteilen, welche in erster Linie in der Statik und Konstruktion oder auch im Stahlskelettbau Verwendung finden, entwickelt sie sich ab Ende des 19. Jahrhunderts ein architektonisches Element zur Dekoration. Zusammen mit Glas als zweitem neuem Baustoff neben Eisen bieten sich ganz neue Möglichkeiten sowohl für Konstrukteure als auch für Architekten, Künstler und Designer.
Vor allem die Architekten des Jugendstil bedienen sich der neuen Materialien, um den Gebäuden eine Schwerelosigkeit und Leichtigkeit zu geben, die ganz im Kontrast zu Stein- und Backsteinfassaden steht – manchmal sogar ein einem Gebäude, wie in der Trierer Neustraße 56. Von der Innenstadt kommend fällt einem als erstes die markante Höhe des Wohn- und Geschäftshauses ins Auge. Mit seinen drei Geschossen plus dem zweigeschossigen Mansarddach ragt es neben den Nachbarhäusern mit meist nur zwei oder drei Geschossen schlank in den Himmel. Mehr als zehn Jahre nach der ersten Trierer Eisenfassade in der heutigen Karl-Marx-Straße hat auch hier ein Architekt den ganz speziellen Wunsch des Bauherren erfüllt. Carl Dalmar errichtet das Geschäfts- und Wohnhaus im Jahre 1904 für den Trierer Eisenwarenhändler Peter Heil aus einem Guss. Dessen zweigeschossiges Ladenlokal mit ausgesprochen hohen Räumen war durch die außen vorgeblendete Eisenkonstruktion für Trier etwas Einmaliges. Der Baustoff, mit dem der Unternehmer handelt, wird auf den ersten Blick dekorativ sichtbar. Im asymmetrisch angelegten Erdgeschoss führt links eine Eisengittertüre in das Gebäude, während rechts Platz wohl für ein Schaufenster gegeben war. Und auch die erste Etage mit der Glas-Stahlkonstruktion lässt das massive Steingebäude nicht sichtbar werden. Der Glaserker mit Jugendstilelementen über dem filigranen Erdgeschoss gibt dem Haus eine Leichtigkeit, welche trotz der weiteren Geschosse beibehalten werden kann.
Auf dem zentral ausgerichteten gläsernen Erker ruht der zur niedrigen Wohnetage gehörende, mit floralen Motiven gestaltete kleine Balkon, der das Eisenmotiv nach oben führt und den Übergang zur Sandsteinfassade mit verputzen Flächen bildet. Ab hier ist die Fassade streng symmetrisch aufgebaut. Die drei Rundbogenfenster mit darüber liegendem geschwungenem Dekor bestimmen zusammen mit dem aufwändig gestalteten Sandsteinfries die Gestaltung dieser Etage. Auf dem Fries, welches einen Kniestock dekoriert, um die Höhe des Dachgeschosses zu vergrößern, sind symmetrisch angeordnete Wappenfelder, Putten und Blätterranken zu finden. Rechts und links flankiert werden die in der Mitte unterbrochenen Felder von zwei geschmückten Frauenköpfen, welche den Abschluss der seitlichen Sandsteinlisenen der Fassade unter dem Kniestock bilden. Im Kniestock selbst sind rechts und links des Frieses jeweils zwei stilisierte Sonnenblumen in Sandstein gehauen. Diese typische Dekoration des Jugendstils ist jedoch nur schmückendes Beiwerk für die Elemente, welche neben der Glas-Stahl-Fassade nochmals Bezug auf den Eisenhändler nehmen.
Nicht die Muttergottes, der heilige Petrus oder das Kreuz Christi schmücken hier die Fassade an zentraler Stelle. Zu Zeiten der Industrialisierung lösen Handwerke und modernes Dekor die religiösen Motive ab. Hier ist es ein Arbeiter. Oberhalb des Balkons steht unter dem schwungvollen und spielerisch ausgestalteten Kielbogen die Skulptur eines muskulösen Schmiedes, der mit hochgekrempelten Ärmeln und dicken Arbeitsschuhen mit seinem Werkzeug am Amboss steht und auf die Straße blickt. Die Sockel des ihn wie eine Heiligenfigur umgebenden Bogens bilden kleine Wappenfelder mit Schmiedewerkzeugen. Und auch auf den das Haus seitlich abschließenden Lisenen finden sich zwischen dem Balkon und dem großen Glaserker Wappen. Links sind hier ein Zahnrad und ein Pleuel zu sehen, rechts sind die klassischen Gildezeichen des Schmiedes ausgearbeitet, der Hammer und die Zange. Diese Elemente auf der Fassade zeigen eine ganz moderne und auch originelle Umsetzung der Wünsche des Eisenwarenhändlers Peter Heil, dessen Name in Trier noch lange bekannt ist. Anna Katharina Heil, die Tochter des Eisenwarenhändlers nämlich, heiratet Carl Theodor Leyendecker, der in der nahen Saarstraße einen Großhandel mit Holz und Baustoff führte – mit dem Doppelnamen Leyendecker-Heil.
Trotz der Umbauten im Laufe des 20. Jahrhunderts, welche aus den beiden zusammenhängenden ehemaligen Ladengeschossen nun zwei voneinander unabhängige Gaststätten beherbergen, sind auch im Inneren noch einige Eisenelemente aus der Bauzeit zu sehen. Im Erdgeschoss führt eine Eisentreppe mit kunstvollem Dekor auf eine Galerie in den hinteren Bereich des langestreckten Hauses. Den Glaserker mit Blick auf die Neustraße jedoch erreicht man nicht mehr wie ursprünglich über die genannte Treppe, sondern über den linken Eingang des Erdgeschosses. Somit ist das für Trier einmalige doppelgeschossige Ladenlokal sowie die ursprüngliche Fassade als solche nur noch im Ganzen zu beschreiben, aber leider nicht mehr zu sehen.
Ich habe in diesem Haus bis 1968 gearbeitet. Die Fa. Pet. Heil verkaufte zu dieser Zeit dort Waschmaschinen u. ä. Waren. Chef dieser Abteilung war Herr Nowak.