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Kennen Sie… das Haus Proppe?
Das „Haus Proppe“ wurde 1909 in Euren errichtet und war zu seiner Entstehungszeit der Architektur Triers um Jahre voraus. Heinrich Tessenow, nach dessen Entwurf das Haus erbaut wurde, ist in den weiteren Orten seines Wirkens als Verfechter der modernen Architektur vor dem Bauhaus unumstritten. Seine noch existierenden Werke stehen weitestgehend unter Denkmalschutz. Trotz Bemühungen seitens der Familie Proppe fällt das gleichnamige Haus nicht darunter. In Trier hat man aber immerhin eine Straße nach Tessenow benannt.
Die Hermannstraße in Euren beginnt an einem kleinen Platz mit der Bushaltestelle „Helenenbrunnen“ und führt am Fuße des steilen Südhangs vom Mohrenkopf am Waldfrieden vorbei in Richtung Niederweiler und Trierweiler. Bevor man in den Wald kommt, ist die Straße von Ein- und Mehrfamilienhäusern gesäumt, in denen alle Zutaten der Durchschnittsarchitektur zu finden sind. Vom schmiedeeisernen Zaun über braun gewölbte Fenster bis hin zu Türmchen und der auffälligen Farbgebung der 90erJahre findet der Flaneur viel von dem, was sich das 20. und 21. Jahrhundert an Novitäten für den Wohnhausbau ausgedacht hat.
Am allerwenigsten fällt jedoch das letzte Haus am Hang kurz vor dem Wald auf. In schlichtem Weiß hebt sich die dreieckige Fassade mit dem beherrschenden Satteldach von der dunklen Naturkulisse ab. Die Fenster verteilen sich symmetrisch über die Fassade, an der rechten Seite ist eine offene Laube mit Pfeilern angebaut. So schlicht kommt das Haus daher, als wäre es zeitlos. Es ist das zweite Haus, das überhaupt in diesem Tal gebaut wurde. 1909 fand der Bauherr Hans Proppe hier genau das vor, was er sich als Lebensraum vorstellte und nach seinen Ideen weiter ausbaute: Viel Natur, in der er und seine zahlreichen Künstlerfreundinnen und -freunde sich verwirklichen konnten. Der 1875 in Köln geborene Proppe studierte in Mainz und Berlin Raumkunst bzw. Innenarchitektur und lehrte ab 1904 an der Trierer „Gewerblichen Fortbildungs- und Gewerbeschule“, einem Vorläufer der späteren Kunst- und Gewerbeschule und heutigen Hochschule.
Der Architekt Heinrich Tessenow kam 1905 als Lehrer der Baugewerkeabteilung an die gleiche Schule und lebte bis 1909 in Trier. Die beiden späteren Professoren befreundeten sich, wenn sie sich nicht sogar schon aus der Studienzeit in Berlin kannten. In Trier schrieb Tessenow sein bedeutendes Werk „Der Wohnhausbau“, welches ebenfalls 1909 erschien und ein für die Architektur ganz neues Konzept der reinen Sachlichkeit formulierte. Während noch weit ins erste Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts nicht nur in Trier noch in historistischen und jugendstiligen Formen gebaut wurde, entwickelte Tessenow eine abstrakte Form von Architektur, die in ihrer Schlichtheit und ihrem Purismus avantgardistisch genannt werden kann. Die Architektur ist von jeglichen Schmuckelementen befreit und zehn Jahre vor dem Bauhaus radikal neu.
Mit dieser neuen Idee findet er in Hans Proppe einen Partner, der in seiner Persönlichkeit und als Künstler ganz ähnlich denkt. Er ist der erste, der einen der von den Architektenkollegen oft belächelten Entwürfe Tessenows praktisch umsetzt. Das Blatt mit der Tessenow zugeschriebenen Zeichnung befindet sich im Nachlass der Familie und gilt als Geschenk an den Kollegen und Freund. Nicht nur künstlerisch ist die Autorschaft Tessenows in der Magisterarbeit der Verfasserin diese Beitrags im Fach Kunstgeschichte an der Universität Trier 2001 nachgewiesen worden, auch Zeitzeugen erinnern sich an mehrfache Nennungen Heinrich Tessenows als Architekten vom „Haus am Berg in der Sonne“, wie Proppe es nennt. Proppe erhält 1909 die Baugenehmigung für das Haus, welches der Mittelpunkt einer Künstlerkolonie werden wird. Er terrassiert den gesamten Hügel, baut in den kommenden Jahren noch kleinere Häuser für befreundete Künstler und plant sogar eine ganze Häuserreihe entlang der Straße, welche auch an Künstler und Gleichgesinnte vermietet werden könnten.
Als Lebensreformer und Anhänger Otoman Zar-Adusht Ha`nish ist Proppe bekennender Mazdaznaner. Dabei handelt es sich um eine Mischreligion mit zarathustrischen, christlichen und einigen hinduistischen Elementen. Er und seine Familie ernähren sich vegetarisch, frönen der Nacktkultur und stellen möglichst alles selbst her. Als „Irrer von Euren“ in dem beschaulichen Vorort von Trier bekannt, ist er gleichzeitig Kunsthandwerker, der gutbürgerliche Möbel, Grabsteine und Büroeinrichtungen für Trierer Familien und Unternehmen entwirft. Er selbst lebt in modernem Design mit wenig Mobiliar in radikal zweckmäßigen Formen wie praktischen Stapelbetten und sonnendurchfluteten Räumen, die offen sind für Künstlerinnen und Künstler nicht nur aus seinem regionalen Umkreis. In Zeitschriften wie „Der Zwiespruch“ sucht er nach Gleichgesinnten für seine „kunstgewerbliche Siedlungsgenossenschaft“.
Das Haus in Euren ist das älteste erhaltene Werk Heinrich Tessenows und das erste moderne Wohnhaus Deutschlands vor den Entwürfen des späteren Bauhauses. Nach seiner Trierer Zeit und auch als Reaktion auf sein Buch „Der Wohnhausbau“ erhält Tessenow die Möglichkeit, in der ersten Gartenstadt Deutschlands in Dresden-Hellerau zusammen mit den renommierten Architekten Richard Riemerschmid, Hermann Muthesius und Theodor Fischer Straßenzüge und Einzelhäuser zu verwirklichen. Als Zentrum für Reformbegeisterte aus ganz Europa machte sich Hellerau schnell einen Namen und wurde zu einem geistigen Zentrum rund um Tessenows Festspielgebäude, welches bis heute eines seiner bekanntesten Werke ist.
Ganz Hellerau inklusive der Tessenow-Bauten steht bereits seit dreißig Jahren unter Denkmalschutz. Das Denkmalpflegeamt Trier hat das Haus Proppe trotz Bemühungen seitens der Familie 1982 nicht unter Denkmalschutz gestellt. „Trotz intensiver Recherche liegt dem städtischen Denkmalpflegeamt keine Quelle vor, die eindeutig belegt, dass das Gebäude Hermannstraße 38 in Euren im Jahre 1909 nach Plänen von Heinrich Tessenow errichtet wurde“, so die aktuelle Auskunft des städtischen Amtes. Daher sei eine Aufnahme in das Verzeichnis der Kulturdenkmäler nicht erfolgt und auch nicht geplant.
In den letzten Jahren hat das Trierer Stadtmuseum Simeonstift von verschiedenen Mitgliedern der Familie große Teile des Nachlasses erhalten und bereits verschiedene Stücke – von Möbeln über Zeichnungen bis hin zu Fotografien ausstellen können. Das Erbe des forschen und innovativen Künstlers wird so angemessen gewürdigt und bewahrt.
Hallo, unbekannte Autorin! (Oder vlt doch Frau Leuchtenberg?)
Wie schön, dass Du Dich der verborgenen Kleinode in Trier so liebevoll und engagiert annimmst!
Anlässlich des kommenden Weltgästeführertages im Februar 2019 mit dem Thema BAUeinHAUS bin ich als Stadtführerin noch der Suche nach weiteren Schätzen. Wo kann ich solche finden? Oder zumindest Informationen darüber?
Außerdem wäre eine Teilnahme deinerseits mehr als gewünscht!
Herzliche neugierige Grüße aus der Nordallee.
Jeannette Scholzen