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Kennen Sie… die “Porta Nigra” von Trier-Süd?
Mit der rasanten Vergrößerung der Stadt Trier verloren die mittelalterlichen Stadtmauern im Laufe des 19. Jahrhunderts so sehr an Bedeutung, dass sie bis zur Jahrhundertwende abgerissen wurden. An dem auf deren Fundamenten angelegten Alleenring steht nicht nur das einzig übrig gebliebene römische Stadttor, sondern im Süden auch eine ganz ähnliche Architektur, die zwar nur mehr als 100 Jahre alt, aber in ihrer Art in Trier einmalig ist.
Bei einem Spaziergang an der Südallee Richtung Stadtbad geht ein Mann mit einem Kind an der Hand vor mir her, welches laut fragt “Ist das die Porta Nigra?”. Ich schaue in die gleiche Richtung wie die beiden vor mir und verstehe die Assoziation des Jungen sofort. Das Doppelhaus mit den beiden rund herauskragenden rundlichen Erkern, den beiden mittigen Torbögen und den vielen Fensteröffnungen weist die gleichen Charakteristika auf, wie das nördliche Tor der römischen Augusta Treverorum aus dem Ende des 2. Jahrhunderts. Die steinsichtigen Fassaden mit den grob behauenen Steinquadern sind sich einfach zu ähnlich.
Beim zweiten Blick auf das imposante Bauwerk, das in einer geschlossen bebauten Reihe zwischen historistischen Wohngebäuden steht, wird besonders deutlich, wie sehr sich das Haus von den danebenliegenden Gebäuden unterscheidet. Es wirkt durch seine Breite und Dunkelheit besonders mächtig, ja beinahe archaisch zwischen den hell verputzten und teilweise mit filigranen Jugendstilornamenten oder farblich abgesetzten Simsen verzierten Fassaden. Gebaut hat es der Trierer Architekt Peter Marx (1871-1958) im Jahr 1900.
Bereits 1788 wird die Allee – damals als Nußbaumallee – außerhalb der Stadtmauer angelegt, welche durch die Stadterweiterung Triers zu einem Straßenzug mit Gewerbe, Gerbereien und Wohnhäusern bis hin zur Mosel ausgebaut wird. Die ersten Gebäude entstehen hier in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts. Erst gegen Ende des Jahrhunderts beginnt der Bau von Villen entlang der wie heute von Bäumen gesäumten Straße. Die Denkmaltopographie der Stadt Trier verweist beispielsweise auf die Villa Schaab, die in den 60er Jahren für den Bau des Polizeipräsidiums abgerissen wurde. Mit dem Steinbau von Marx ist eine der wenigen Villen aus dieser Zeit erhalten geblieben.
Es ist eines der ersten Werke, die Peter Marx direkt zu Beginn seiner Zeit als selbstständiger Architekt in Trier baut. 1900 gründet er nach dem Studium an der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg in seiner Heimatstadt sein eigenes Architekturbüro. Der aus einer Tuchfabrikantenfamilie stammende Marx hat vorher schon eine Ausbildung zum Bautechniker gemacht und einige Zeit in Köln und Brüssel gearbeitet. Zwei Jahre lang, 1894 und 1895, verbringt er in New York und lernt dort die neuen Techniken im Beton- und Stahlbau kennen. Studienreisen führen ihn nach Italien, Frankreich, Schottland und England. Man darf davon ausgehen, dass er sich in internationaler zeitgenössischer Architektur bestens auskennt und seine Selbstständigkeit mit einem großen Erfahrungsschatz beginnt.
So extravagant das Haus in der Südallee heute erscheint, so modern war es in seiner Bauzeit. Um 1900 wird historistisch gebaut, sowohl bei öffentlichen Gebäuden, Kirchen aber auch Wohnhäusern und Villen. Die Architekten greifen auf dagewesene Stilformen zurück. So entstehen in ganz Preußen beispielsweise zahlreiche neogotische Kirchen oder im Renaissancestil gestaltete öffentliche Gebäude. Die Verwaltungen, Kirchen und Grundbesitzer bauen Gebäude, die entweder ihre Macht und Wichtigkeit darstellen sollen oder im Privaten stolz das Selbstverständnis des Bürgertums präsentieren.
Womöglich sollte das Doppelhaus Aufmerksamkeit erregen, um auf das Unternehmen des Bauherrn und die damalige Nutzung aufmerksam zu machen. Auf dem Grundstück der rechten Haushälfte befindet sich nämlich zur Bauzeit die Schreinerei von Quirin Hofscheuer, die über den Toreingang der linken Haushälfte zugänglich ist. Diese Türe ist auch heute noch erhalten und mit ihren aufwändigen Schnitzereien wohl ein Stück aus dieser Werkstatt.
Peter Marx zitiert und variiert in seiner Doppelvilla romanische und damit ursprünglich römische Bauformen, was für Wohngebäude eher untypisch und für Trier einmalig ist. Die Rundbögen über den Eingängen und die massiven Steinquader erinnern sowohl an römische Torbauten wie auch an romanische Burgen. Die verwendeten Quader sind bossiert, also an der Sichtseite ungeglättet und nur grob behauen – das war nötig, damit die Seile beim Hochziehen der oft tonnenschweren Quader nicht abrutschten. Diese rohe Behauung steht im Kontrast zur explosionsartig wachsenden Stadt mit seinen bürgerlich-biedermeierlichen Wohngebieten. Der symmetrischen Strenge der antiken Vorbilder stellt Marx jedoch Strukturelles entgegen.
Besonders auffällig ist die Asymmetrie der Fassade. Während er beim linken Flügel gleich zwei halbrunde Erker nebeneinander platziert, findet sich auf der rechten Seite nur ein Erker. Und auch die Giebel der beiden Zwerchhäuser sind in ihrer Ausformung nicht symmetrisch. Die Abwandlung antiker Architektur passt interessanterweise wieder zur Porta Nigra, welche mit den zwei unterschiedlich hohen Türmen auch ein asymmetrisches Erscheinungsbild hat. Inwieweit Peter Marx das römische Tor zum Vorbild genommen hat, kann jedoch nur spekuliert werden.
Modern und zeitgenössisch sind an der Villa deren Details, wie beispielsweise die an die Sezessionsarchitektur erinnernden Umfassungen der Gaubenfenster oder die flankierenden Schmuckelemente rechts und links der Giebel. Der Balkon zwischen den Erkern verbindet die beiden Häuser und nimmt Bezug auf die historistische Landhausarchitektur, die hier ins städtische Umfeld herein interpretiert wird. Vor allem die kleinen skulpturalen Elemente lockern das monumentale Gebäude auf und verweisen auf Dämonen, welche die mittelalterlichen Gotteshäuser schützen. Es lohnt sich, hier Details zu suchen.
Der tief religiöse Peter Marx hat in seiner Trierer Zeit nach dem frühen Tod seiner Frau 1907 hauptsächlich Kirchenbauten errichtet. Durch seine politischen Aktivitäten als Separatist zugunsten einer “Rheinischen Republik” wird er in Trier nach dem Abzug der französischen Besatzungsgruppen verfolgt, 1934 flieht er vor den Nationalsozialisten zu einem Bruder nach Rom. Hier forscht er im Vatikan und bereitet eine mehr als 700-seitige Sammlung von Kirchengrundrissen mit Kommentaren, den Corpus Basilicarum orbis christiani vor, die jedoch nie gedruckt wird. 1947 kehrt er nach Trier zurück, wo er als seinen letzten Bau 1953/54 die Igeler Kirche realisiert.
Info: Weitere Informationen zum Leben und Werk von Peter Marx haben die Trierer Kunsthistoriker Jens Fachbach, Georg Schelberg und Mario Simmer im Neuen Trierischen Jahrbuch 48, 2008 zusammengefasst. Hier wird auch eine Monographie der Autoren zum Architekten angekündigt.